Es beginnt schleichend. Erst ist es nur ein leichtes Unwohlsein, dann eine subtile Anspannung. Und plötzlich – BOOM – stehst du mitten im Feuer, völlig ausgelaugt, überfordert und am Rande eines Zusammenbruchs.
Ich weiß nicht, ob du das kennst. Vielleicht gehörst du zu den Menschen, die ihre To-Do-Listen abarbeiten, als wären sie ein entspanntes Kreuzworträtsel beim Sonntagskaffee. Falls ja – Glückwunsch! Ich dagegen gehöre zur Kategorie: Ich-mache-alles-bis-es-mich-zusammenklappen-lässt-und-frage-mich-dann-überrascht-warum-ich-nicht-mehr-kann.

Wie ich in mein eigenes Chaos tappte – und es erst zu spät merkte
Es fing alles harmlos an. Ein gemeinsames Projekt mit meiner Geschäftspartnerin. Etwas Neues, etwas Aufregendes. Voller Euphorie öffnete ich die Tür – weit. Sehr weit. Zu weit. Und dann? Dann kam der Sturm.
Von einem Tag auf den anderen wurde mein Leben zu einer einzigen nicht enden wollenden Nachrichtenflut. Jeden Morgen wachte ich auf, und mein Handy vibrierte, als wäre es auf Koffein. Nachrichten, Fragen, Ideen – sie prasselten auf mich ein, noch bevor mein Gehirn überhaupt Guten Morgen sagen konnte. Ich fühlte mich wie eine One-Woman-Kundenhotline mit Dauerbetrieb.
Am Anfang dachte ich: Na gut, das ist jetzt eine Phase. Bald wird es ruhiger. Aber es wurde nicht ruhiger. Es wurde lauter. Und ich? Ich funktionierte. Immer weiter, immer schneller.
Bis nichts mehr ging.
Introvertiert sein bedeutet nicht „einfach mal durchziehen“
Vielleicht kennst du diese Sprüche:
„Ach, ich bin auch introvertiert. Du musst da einfach mal durch, dann wird das schon.“
„Da musst du jetzt durch, das ist wichtig.“
„Ich war auch mal schüchtern, irgendwann habe ich gelernt, damit umzugehen.“
Ah ja. Introvertiert sein bedeutet also, dass ich einfach mal über meine Grenzen drüberrollen soll wie eine Dampfwalze und dann ist alles gut? Nein.
Hier eine kleine Erklärung für alle, die das Thema vielleicht noch nicht ganz verstanden haben: Introvertiert sein bedeutet nicht, dass man nur ein bisschen schüchtern ist. Es bedeutet, dass soziale und kommunikative Interaktionen Energie kosten – und zwar viel. Wir können nicht einfach von einem Gespräch ins nächste springen, ohne innerlich zu erschöpfen. Jeder Ping, jede Nachricht, jede Erwartung zieht an uns. Und wenn wir nicht aufpassen, zieht sie uns irgendwann runter.
Bei mir sah das ungefähr so aus:
- Jeden Morgen um 6 Uhr die ersten Nachrichten.
- Tagsüber nonstop Input, Fragen, Gedanken.
- Das Gefühl, dass ich sofort reagieren muss – auch wenn es niemand verlangt hat.
- Ein wachsendes Chaos in meinem Kopf.
- Eine leere Batterie, die ich ignorierte.
Und dann, eines Abends, nach einem dieser Tage, an denen meine innere Festplatte endgültig überlastet war, brach alles aus mir heraus.
Wenn du zu lange schweigst, schreit dein Inneres umso lauter
Das Problem ist: Ich sage oft nichts. Ich mache einfach. Bis es nicht mehr geht.
Ich bin nicht die, die sofort ihre Grenzen setzt. Ich bin die, die erst merkt, dass sie hätte Grenzen setzen sollen, wenn sie bereits am Boden liegt und mit einem Burnout flirtet.
Als ich endlich ausgesprochen habe, dass mir das zu viel ist, war ich nicht mal mehr in der Lage, es sachlich zu formulieren. Es war nicht mehr einfach „Hey, das ist mir gerade etwas zu viel.“ Es war eher „ICH KANN NICHT MEHR! ICH BIN FERTIG! ICH SCHMEIß HIN!“
Ja, mein Fehler. Ich hätte es früher kommunizieren müssen. Ich hätte es klarer machen müssen. Ich hätte… hätte, hätte, Fahrradkette. Aber manchmal merkt man es einfach nicht rechtzeitig.
Was danach passierte, hat mich überrascht
Meine Geschäftspartnerin hätte beleidigt reagieren können. Sie hätte mir vorwerfen können, dass ich mich anstelle. Dass ich übertreibe. Dass ich halt „einfach mal durchziehen“ soll. So wie es sonst jeder tut.
Stattdessen kam eine Nachricht, die mich tief berührt hat.
Sie schrieb mir, dass sie mich versteht. Dass sie es nicht gemerkt hat, aber es nachvollziehen kann. Dass sie nicht will, dass ich mich so fühle, und dass wir eine Struktur brauchen, die für uns beide funktioniert.
Das ist es, was echtes Verständnis ausmacht. Nicht ein schnelles „Ach, das wird schon“ oder ein „reiss dich mal zusammen“ , sondern ein wirkliches Zuhören und Einfühlen.
Meine neuen Regeln, um nicht wieder ins Chaos zu rutschen
Ich habe aus dieser Situation gelernt – und falls du auch jemand bist, der erst „Ja klar, kein Problem!“ sagt und sich dann Wochen später wundert, warum er völlig ausgelaugt ist, könnten dir diese Regeln helfen:
Mein privates Handy bleibt privat, mein Geschäftshandy bleibt geschäftlich.
Ich will nicht mehr morgens um 6 schon im Arbeitsmodus sein. Mein Kopf verdient eine Aufwachzeit.
Feste Arbeitszeiten für bestimmte Projekte.
Für unser Projekt „Liebevoll vernetzt“ nehme ich mir von 11 bis 13 Uhr Zeit. In dieser Zeit bin ich fokussiert und erledige To-Dos. Danach? Gibt es auch noch Möglichkeiten – aber keine Selbstverständlichkeit.
Ich setze Grenzen – und zwar rechtzeitig.
Ich war es, die die Tür zu weit aufgerissen hat. Ich war es, die dachte, sie müsse alles sofort erledigen. Es war auch meine Schuld, dass sich das Chaos so entfalten konnte. Ab jetzt: Klarere Kommunikation. Frühzeitig. Ohne Drama.
Ich akzeptiere, dass ich Energie brauche, um zu funktionieren.
Ich bin nicht faul. Ich bin nicht schwierig. Ich bin einfach introvertiert, und das bedeutet, dass ich anders auftanke. Und das ist völlig in Ordnung.
Fazit: Du bist nicht falsch – du brauchst nur deinen eigenen Rhythmus
Falls du dich in diesem Text wiedererkennst, dann lass mich dir sagen: Du bist nicht kaputt. Du bist nicht schwach. Du brauchst nur eine Struktur, die zu dir passt.
Und wenn dich das Thema interessiert oder du tiefer verstehen willst, warum dein Kopf nach Stille schreit, wenn alle anderen lauter werden – dann kann ich dir dieses Buch empfehlen:
„Introvertiert, na und?“ von Saskia Fröhlich – für alle, die sich selbst besser verstehen oder introvertierte Menschen in ihrem Leben besser begleiten wollen.
Ich lerne immer noch, mich selbst besser zu schützen. Aber was ich heute weiß: Ich werde nie wieder zulassen, dass mein eigenes Feuer mich verbrennt.
Und du solltest es auch nicht.
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